Bong Joon-ho hat mit Filmen wie Snowpiercer schon bewiesen, dass er ohne Probleme einen hervorragenden Actionfilm mit außerordentlichem Set Design und einer faszinierenden Story drehen und dabei quasi wie nebenbei unsere kapitalistische Gesellschaft kritisieren kann. Mit Okja, seinem neuen, für Netflix produzierten, Machwerk, wollte er etwas ganz ähnliches erreichen.
Laut dem asiatischen Regisseur bekommen wir Tiere in Filmen oft, entweder als Seelenverwandte zu sehen oder müssen in Dokumentationen mit anschauen, wie sie geschlachtet werden. Diese beiden Welten wollte er in Okja vereinen, das teilte er zumindest dem Guardian im Interview mit. Nach zweimaligem Ansehen können wir ohne Zweifel bestätigen, dass ihm dies gelungen ist.
Ein Mädchen und ihr Superschwein
Seitdem als kleines Kind ihre Eltern gestorben sind, lebt die jugendliche Mija allein mit ihrem Großvater in den koreanischen Bergen. Sie verbringt ihre ganze Zeit mit ihrer besten und einzigen Freundin, der namensgebenden Okja. Einem sogenannten Superschwein, das man wohl am besten als eine Mischung aus Sau und Nilpferd beschreiben kann. Die beiden machen im Prinzip alles gemeinsam. Sie sammeln Früchte und Beeren , jagen Fische , oder lassen sich wortwörtlich einfach mal die Sonne auf den Bauch scheinen. Schon in den ersten Minuten des Filmes wird klar, dass die beiden mehr sind als nur Mädchen und Haustier.
Das macht es für jeden Beteiligten nur umso härter, wenn das passiert, was passieren musste. Die Idylle, die sowieso viel zu schön war, um wahr zu sein, wird durchbrochen.
Okja gehört der riesigen Firma Mirando. Sie ist nur in Korea bei einem Bauern, um das Fleisch der genmanipulierten Superschweine beim Konsumenten akzeptierter zu machen. Das ist Teil einer gigantischen Marketingstrategie.
So wird das friedsame Tier in einen Lkw geschafft und dann nach Amerika abtransportiert. Dort soll sie als Maskottchen der Firma vorgeführt werden. Wie zu erwarten, ist Mija davon alles andere als begeistert und plant, dies nicht so einfach hinzunehmen. Die junge Farmerin macht sich also auf in ein Abenteuer, in dem sie sich nicht nur mit einem gigantischen Multi-Millionen-Dollar-Unternehmen anlegt, sondern auch auf allerlei merkwürdige Persönlichkeiten, wie die Mitglieder der Animal Liberation Front ( dt. Tier Befreiungsfront), trifft.
Okja als Abenteuer
In Okja begibt man sich mit Mija auf eine Reise voller Höhen und Tiefen, auf eine emotionale Achterbahnfahrt. Während man in einem Moment noch das Mädchen und ihre oft ungeschickte, tierische Begleiterin durch eine wunderschöne Landschaft im Südkorea ziehen sieht, fiebert man im nächsten bei einer an den Nerven zerrenden Verfolgungsjagd mit, oder wird von einem der nicht seltenen, herzzerreißenden Momente zu Tränen gerührt.
Dieser Film ist außerordentlich gut darin, im Zuschauer eine emotionale Resonanz auszulösen. Das liegt bestimmt zu einem nicht unerheblichen Teil an der Musik, die immer genau die richtige Note zu treffen scheint. Da ist es auch egal, ob Mija gerade an der Hinterseite eines fahrenden Trucks hängt, oder ihre elefantöse Freundin umarmt. Der Hauptgrund ist aber ganz einfach die Tatsache, dass hinter der Gesellschaftskritik und der Parodie Okja eine einfache Geschichte steckt. Die Geschichte von zwei Freunden, die auseinander gerissen werden. Das ist keine besonders neue Idee, aber sie ist effektiv. Das sollte man schon alleine daran merken, wie oft und in wie vielen Formen sie uns schon untergekommen ist.
Regisseur Joon-ho setzt diese Thematik außerdem außergewöhnlich gut um. Die heroische Mija war uns mit ihrer Sturheit und Intelligenz, die den meisten Kindern in Filmen leider vorbehalten wird, auf Anhieb sympathisch. Zusätzlich hat sich das Team bei Okja, mit ihren großen braunen Augen, dem gutmütigen Verhalten und absoluter Loyalität Mija gegenüber, offensichtlich große Mühe gegeben, sie so sympathisch wie möglich zu designen. Es wird schnell klar, was der Film erreichen will. Bis dies jedoch geschieht, sind uns Mija und Okja schon lange ans Herz gewachsen.
Okja als Gesellschaftskritik
So viel Spaß der Film als einfaches Abenteuer auch macht, die unterliegende Kritik am Kapitalismus und Massentierhaltung ist unübersehbar. Das beginnt mit den bis in die Parodie überzeichneten Charakteren auf der Seite der Firma Mirando und endet bei Szenen, die man sonst so nur aus Dokumentationen eines Schlachthauses erwarten würde.
Er schafft es einen deutlich größeren Eindruck auf die Zuschauer zu machen, als eine echte Doku oder ein ähnlicher Film. Dabei macht er nichts wirklich Neues. Kapitalisten so gierig darzustellen, dass es schon lustig wirkt, ist genauso wenig eine Erfindung Okjas, wie der Versuch mit grausamen Bildern von misshandelten Tieren vom Kauf billigen Fleisches abzuhalten. Doch als Zuschauer kümmert man sich so viel mehr um Okja, als etablierten Charakter,als um einfach nur ein x-beliebiges Schwein. So scheint jede Misshandlung und jeder, der ihr Böses will, um einiges schlimmer. So funktionieren also die sehr Dokumentar-ähnlichen Szenen später im Film nur so gut, weil man das Tier Okja vorher in einem vermeintlich spaßigen Abenteuerfilm kennengelernt hat.
Ein Film voller Schauspielgrößen
Mit Tilda Swinton, Jake Gyllenhaal, Steven Yeun und Giancarlo Esposito gibt es im Film schon eine beeindruckende Menge von guten, amerikanischen Schauspielern, die man aus großen Serien oder Filmen, wie Breaking Bad, The Walking Dead, Snowpiercer oder Prisoners bereits kennt. Wie es für Regisseur Joon-ho jedoch üblich ist, gibt es auch einige südkoreanische Schauspieler, wie zum Beispiel Ahn Seo-hyeon, die auch fast ausschließlich in koreanisch spricht. Das mag manche zwar abschrecken, gefiel uns aber gut, da dies sehr viel glaubwürdiger ist, als eine Koreanerin, die fließend englisch spricht.
Bei diesem Cast ist es wohl kein Wunder, dass Okja einige wirklich gute Schauspielleistungen enthält, obwohl viele der Charaktere deutlich zu flach bleiben und oft wenig mehr als Stereotyp sind.
Für die ganze Familie?
Wer unsere Inhaltsangabe liest, könnte schnell auf den Gedanken kommen, dass Okja ein Kinderfilm ist. Ein Abenteuer, das man zusammen mit seinen Sprösslingen genießen kann. Auch wenn wir diesen Gedankengang vollkommen nachvollziehen können, ganz richtig ist er nicht. Der Film wird, vor allem gegen Ende seiner Laufzeit, an einigen Stellen durchaus brutal. Somit ist er nicht so kinderfreundlich, wie auch wir zuerst vermuteten. Dem scheinen die Verantwortlichen bei Netflix genauso zuzustimmen, da der der Film mit einem „Nicht für Kinder geeignet“ markiert wurde.
Aber auch wenn man erwachsen ist, ist Okja nicht unbedingt für jede Erwachsenen-Seele geeignet. Es ist deutlich, dass sich der Film gegen Massentierhaltung ausspricht. Werke, die sich so offensichtlich zu einem politischen Thema aussprechen, werden immer einige Menschen abschrecken. Viele werden auch ein Problem mit den Abschnitten haben, in denen die Schauspieler nur koreanisch sprechen.
Dies soll aber keine Kritik sein, ganz im Gegenteil. Mehr Regisseure sollten den Weg von Bong Joon-ho gehen und ihrer Vision folgen, anstatt einen Film zu drehen, der so vielen wie möglich gefällt, aber nichts Besonderes ist. Es ist großartig, dass Netflix kreativen Geisten die Möglichkeit und das Geld gibt, dies zu tun.
Fazit
Unterm Strich hat Okja keine besonders tiefen Charaktere oder kann mit überraschenden Plot Twists aufwarten. Es fühlt sich aber durch ein internationales Casting und eine ungewöhnliche Herangehensweise an bekannte Themen frisch an. Joon-hos Entscheidung Kritik an Massentierhaltung mit in dem Film zu bringen, war genau die richtige. Die Verbindung aus leichtherzigem Abenteuer und eines so wichtigen Themas, hebt den Film deutlich von der Konkurrenz ab. Okja ist ein spaßiger Blockbuster mit viel Herz, der keine Angst davor hat etwas auszusagen. Damit ist der Streifen genauso wie zuletzt Glow und Gypsy, eine absolute Empfehlung aus dem Hause Netflix.