Die Gamescom 2019 hat das Motto „The Heart of Gaming“. Was passiert, wenn die Arterien dieses Herzens ebenso verstopfen, wie die Gänge der Kölnmesse zur Gamescom. Die Teilnehmerzahlen wachsen jährlich. Wäre die logische Folge eines weiteren Wachstums nicht sogar der Infarkt der Gaming-Messe?
Gamescom bedeutet zocken, erleben, den eigenen Horizont erweitern und zusammenkommen. Die Gründe zur Gamescom zu kommen sind ebenso zahlreich wie die Besucher selbst. Neben Gamern tummeln sich Pressevertreter, Blogger, Recruiter, Influencer, Techniker und schier unzählige Aussteller auf dem Gelände. Die Kölnmesse ist bemüht, allen gerecht zu werden. Dies versucht auch die Gamescom. Anders hätte der Vertrag mit Köln als Messestandort auch letztes Jahr nicht verlängert werden können. Eine neue Halle, Modernisierung unter anderem der Belüftungsanlage und neue Gebäude sollen die Messe räumlich und funktional erweitern. Das Projekt heißt Kölnmesse 3.0 und soll 2030 vollendet sein. Die Halle wird als eines der ersten Projekte jedoch erst Ende 2020 fertig gestellt und steht, wenn sich keine BER-ähnlichen Komplikationen ergeben, frühestens zur Gamescom 2021 zur Verfügung. Noch länger lassen Bestandssanierung und Terminal auf sich warten. Ist das genug für ein Messegelände, das schon am ersten Besuchertag mit Kuststoff-Absperrbändern regulierend in den Besucherfluss eingreifen muss? Die Fläche wurde dieses Jahr zwar um 17.000 m² erhöht. Die Besucherzahl stieg gleichzeitig jedoch um 3.000 Besucher und auch die 116 zusätzlichen Aussteller haben Platz beansprucht. Angenehm war der Besucherfluss maximal am Fachbesucher- und Pressetag.
Wo drückt denn der Gamescom Schuh?
Never change a winning team und die Spielemesse ist zweifellos ein Gewinner. Steigende Aussteller und Besucherzahlen sprechen eine deutliche Sprache und am von vielen gefürchteten Samstag sind die Eintrittskarten noch schneller vergriffen als an jedem anderen Tag. Warum beschweren wir uns? Die Antwort ist einfach. Viele Gamer kommen genau deshalb Samstags zur Messe, weil sie an den anderen Tagen arbeiten oder andere Verpflichtungen und nur am Wochenende Zeit haben. Es gehört schon eine gute Portion Masochismus und ein reißfestes Nervenkostüm dazu, mehr als eine Stunde für eine Demo anzustehen, die man meist in dieser Stunde mehr als zwei mal bei anderen gesehen hat.
Die Stände von Samsung und Wargaming verteilen glücklicherweise Pappe mit der sich Gamer mangels Sitzgelegenheiten ihren eigenen Hocker basteln können. Die Gamescom ist ein perfektes Anwendungsbeispiel für die Nintendo Switch. So kann man sich während des Wartens auf fünfzehn Minuten eines neuen Games wenigstens mehr als eine Stunde eines altbekannten Spiels zu Gemüte führen. Jeder Blick auf eine Rutsche, eine übergroße Gaming-Statue oder ein Militärfahrzeug verblüfft zunächst und lässt uns dann den Platz in Anspielstationen umrechnen, die Aussteller dafür opfern. Eine generelle Umfrage, was Gamer wirklich von der Gamescom erwarten, könnte helfen, den Platz besser zu nutzen.
Es gibt doch erstmals digitale Gamescom Warteschlangen
Dieses Jahr durften sich Besucher erstmals über die Anwendung von digitalen Warteschlangen freuen. Interessante Titel waren jedoch erwartungsgemäß schnell ausgebucht. Frühbucher ergänzten die wartende Gruppe aus Pressevertretern, Besitzern eines Fast-Lane-Tickets und normal Anstehende um eine weitere Gruppe. Vielleicht liegt das größte Problem der Messe in den vielen Interessenvertretern. Am Presse- und Fachbesuchertag tummeln sich diese beiden Gruppen und sorgen bereits für recht volle Hallen. An den kommenden Tagen blockieren Presse- und Fachbesucher weiterhin die zahlreichen Privatbesucher. Selbstverständlich fühlen sich die „professionellen Messeteilnehmer“ auch von den Privatbesuchern eingeschränkt. Die Aussteller freuen sich auf eine riesige Masse an Interessenten.
Haben die Besucher-Massen die Zeit und den Antrieb wirklich jedem Stand die Aufmerksamkeit zu schenken, die er verdient? Wer hat wirklich die Chance an mehreren Tagen wiederzukommen? Wir waren jeden Tag von Dienstag bis Donnerstag auf der Messe und können nicht behaupten, dass wir wirklich alles gesehen haben. Auch, dass wir Artikel zu allem gesehenen schreiben, ist eine utopische Vorstellung bei eingeschränkter Men-Power. Wir beschränken uns auf die Titel, zu denen wir wirklich etwas gesehen haben. Die meisten Artikel entstehen aus Terminen im Business-Bereich oder einer Nvidia-Veranstaltung außerhalb der Messe.
Die Zielgruppe der Messe retten
Die Gamescom kann nicht den Anspruch haben, für jeden da zu sein. Dafür ist der Gaming-Markt zu sehr gewachsen. Wir sind der Meinung, dass es Zeit für eine Konzentration auf eine der vielen Zielgruppen ist. Soll die Gamescom als Publikumsevent all ihre Vorteile nutzen, ist es wichtig, dass sie diesen Weg konsequent geht und sich deutlich als solches positioniert. Die Men-Power muss dann dort eingesetzt werden, wo die Besucher sind. Es braucht mehr Anspielstationen und auch einen größeren Komfort für die anwesenden Gamer. Wie der Presse kann man dann auch den Gamern zeigen, welchen Wert sie für die austellenden Unternehmen haben.
Will man bester Anlaufpunkt für Medienvertreter und Fachbesucher sein, ist eine Reduzierung der verkauften Publikumstickets erforderlich. Die Einblicke in die Spiele benötigen dann einen größeren Umfang und die Fortbewegung in den Messehallen sollte einfacher sein. Es braucht dann viele fachkundige PR-Vertreter, die zum einen wissen, was sie über die Titel weitergeben dürfen und zum anderen die nötwendigen Einblicke in die Werke haben. Zusätzliche Annehmlichkeiten durch Einzelheiten wie mehr Sitzgelegenheiten und Panels wären ebenfalls eine gelungene Verbesserung.
Aus der Sicht der Aussteller sollen sie selbst die Stars sein, Medienvertreter beziehungsweise Fachbesucher sammeln wichtige Eindrücke und Informationen und Spieler wollen vor allem zocken. Jedes Jahr wird die größe der Gamescom kommuniziert. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Messe nicht der Star sein sollte. Die Besucher sind nicht zufriedener, wenn statt 370.000 nun 373.000 Besucher anwesend sind.
Andere Vorzeichen für die Gamescom 2020
Nach der Verlängerung der Partnerschaft zwischen Kölnmesse und Branchenverband steht der Termin für die Gamescom 2020 bereits fest. Sie findet vom 25. bis zum 29. August 2020 statt. In dieser Zeit haben neben Nordrhein Westfalen auch drei andere Bundesländer Sommerferien. Die Besucherzahlen werden weiter steigen. Vor allem die nächste Konsolengeneration sorgt wahrscheinlich für viel zusätzliche Aufmerksamkeit. Wir hoffen darauf, dass die Gamescom dann eine Messe ist, die wir gerne besuchen.
Gibt es Alternativen zur Mega-Messe? Mit der EGX ist letztes Jahr in Berlin eine neue Messe gestartet. Mit Ausstellern wie Activision, Warner, Ubisoft, Capcom, Sony PlayStation, Square Enix und 50 weitere Unternehmen, darunter viele Indie-Studios, waren einige große Kaliber vertreten. Ausverkauft waren die Tickets für Samstag auch schon im ersten Messejahr. Insgesamt gab es 15.200 Besucher, während ein Gamescom Tag bereits 80.000 Gamer anlockt. Die EGX hat nicht die Strahlkraft der Gamescom. Kann aber noch mit kürzeren Wartezeiten überzeugen und findet auch 2019 statt.
Wir wissen selbstverständlich nicht, wie sich die Gamescom weiterentwickeln wird. Gleichzeitig sind wir auch froh, dass wir selbst diese Entscheidung anderen überlassen dürfen. Dass sich die Messe dem wachsenden Gaming-Markt anpassen muss, ist für uns jedoch unausweichlich.