Im Vergleich zu anderen offenen Spielwelten aus dem Hause Ubisoft ist der Hacker-Spielplatz Watch Dogs mit dem nun dritten Ableger verhältnismäßig jung. Während wir dem Abenteuer von Aiden Pearce noch viel Potenzial bescheinigten, schöpft Watch Dogs Legion dies auf einzigartige Weise aus.
Maskierte dominieren das Straßenbild der britischen Hauptstadt. Ausgangssperren hindern Menschen am gewohnten öffentlichen Leben und Protestanten tun ihren Unmut über die aktuelle Situation öffentlich kund. Was dank Corona-Pandemie auch dem deutschen Alltag sehr nahe kommt, ist ein Teil der Welt, die Ubisoft mit Watch Dogs Legion geschaffen hat.
Im Gegensatz zu einem lebendigen Virus haben digitale Mächte London fest im Griff. In der Stadt mit dem wohl dichtesten Videoüberwachungsnetz Europas würde sich ein Hacker-Netzwerk wie Dedsec wie zu Hause fühlen, wenn es nicht schon zu Beginn des Spiels zerschlagen worden wäre. Nun sind der Bauarbeiter mit Schluckauf und die Granny samt ihrer Darmwinde gefragt, um Londons Bürger aus dem engen Griff seiner Unterdrücker namels Albion zu lösen.
Aiden Pearce, Marcus Holloway und Tante Erna von nebenan
Im Vergleich zu seinen Vorgängern löst sich Watch Dogs Legion von den Hauptcharakteren der Vorgänger. Zu unserer Verwunderung hat man jedoch nach dem für viele zu düsteren Aiden Pearce und dem erfreulich humorvollen Dedsec-Kollektiv um Marcus Holloway keinen neuen Hauptcharakter geschaffen. Stattdessen rücken die in den Mittelpunkt, die im Spiel unter ihren Unterdrückern leiden, die Bewohner Londons.
So schlüpfen von euch rekrutierte, ehemalige NPCs in von euch gewählte Kluft und maskieren ihre Gesichter mit euren Masken. Die aus dem Untergrund agierende, verbliebene Dedsec-Agentin Sabine und eine KI, die Iron Man Tony Stark selbst nicht besser konstruieren könnte, tragen neben den Rekruten einen großen Teil der Handlung. Das Konzept geht auf. Die Geschichte von Watch Dogs Legion ist etwas ernster als die des direkten Vorgängers und geizt trotzdem nicht mit einer gewissen Leichtigkeit. Den Rest des Zaubers wirkt der imposante sowie futuristische Großstadt-Spielplatz.
Zu Beginn unseres Spieldurchlaufs nahmen wir fast jeden Londoner als potenziellen Rekruten unter die Lupe. / Quelle: Ubisoft
Spielerische Freiheit statt Gameplay-Unterdrückung
Schon zu Beginn unseres Abenteuers bescherte uns Watch Dogs Legion positive Überraschungen. Das virtuelle London des Spiels ist dicht und lädt euch zum Erkunden ein. Dabei hindert es euch nicht, den Stadtteil zu verlassen und Missionen in anderen Bezirken zu erledigen. Aufgedeckt wir die Karte durch ihre Erkundung. Wart ihr an einer Ubahn-Station, könnt ihr diese für die Schnellreise nutzen. Parkende Autos gehören von Beginn an zu euren Fortbewegungsmitteln. Noch lieber war uns jedoch das stilvolle Reisen auf dem Rücken einer Frachtdrohne. Die Fortbewegung per Drohne oder über den im Auto verbauten Autopiloten könnte flotter sein. Greift man selbst zum Steuer, ist ein Kampf mit der noch immer nicht perfekten Fahrphysik angesagt. Dies gilt für Autos noch mehr als für zweirädrige Boliden.
Wie bei offenen Spielwelten von Ubisoft üblich, bieten auch London viele Nebenaufgaben. Diese sind zum Beispiel Faustkämpfe, Dart, das Jonglieren mit Fußbällen oder der Konsum von Alkohol. Derartige zusätzliche Tätigkeiten sind glücklicherweise rein optional und blähen das Spiel für Hacker, die sich hauptsächlich mit der Haupt-Handlung auseinandersetzen wollen, nicht künstlich auf. Das gleiche gilt für kosmetische Aspekte wie Masken oder Kleidung. Interessanterweise gilt in Watch Dogs Legion das gleiche wie im wahren Leben: Wer Masken trägt, gehört zu den Guten.
Vielversprechende Rektruten und fesselnde Missionen
Der Widerstand ist ein zentraler Punkt in Watch Dogs Legion. Dieser besteht aus maximal 20 von euch rekrutierten NPCs, die bestenfalls mehrere Fähigkeiten mit sich bringen. Diese Stärken und Schwächen reichen von Gebrechlichkeit und spontanem Tod bis hin zu besonderer Ausrüstung, Widerstandsfähigkeit im Nahkampf oder Hacking-Fähigkeiten.
Zu Beginn des Spiels entscheidet ihr, ob eure Agenten den Bildschirmtod sterben können. Diese Option legen wir euch ans Herz, da der Tod eines einzigartigen Agenten zwar mehr als ärgerlich ist, dem Spiel jedoch eine besondere Dynamik verleiht. Nur so entfaltet das einzigartige Rekrutierungs-Feature sein ganzes Potenzial.
Selbst wenn Agenten nicht sterben können, verhindert eine Inhaftierung oder der Aufenthalt im Krankenhaus ihren Einsatz für eine gewisse Zeitspanne, die nur mit fortlaufender Spielzeit abläuft. So ist die gleiche Mission mit einem anderen Agenten zu meistern. Dies führt dank des notwendigen Umdenkens zu mehr Abwechslung.
Rekruten schließen sich euch zum Teil nach kleineren Einzel-Missionen an, die zum Beispiel Spionage, Sabotage oder auch die Rettung anderer NPC von euch fordern. Wirklich erfahrene Agenten wie Hooligan, Spion oder einen erfahrenen Hacker garantieren euch besondere Aufträge in jedem Stadtteil, die ihr erst nach mehreren kleineren festegeschriebenen Aufgaben in jedem Stadtteil abschließen könnt. Diese Missionen gehören zu den besseren des Spiels und enden damit, dass ihr ein Teil Londons für eure Sache gewinnt. Neben neuen Agenten belohnt euch das Spiel mit der Aufdeckung verbleibender Technikpunkte und häufigerem Auftauchen von erfahrenen Agenten.
Erfahrene Widerstandskämpfer machen auch mit gegnerischer Überzahl kurzen Prozess / Quelle: Ubisoft
Technikpunkte, Ingame-Währung und die Erkundung von London
Wer an Watch Dogs und seinem Nachfolger gefallen gefunden hat, der kommt auch bei den Missionen von Watch Dogs Legion auf seine Kosten. Das Spiel belohnt Kreativität bei der Herangehensweise an Missionen. Für unterschiedliche Dedsec-Mitarbeiter bieten sich im Kampf gegen Albion und kriminellen Gruppen verschiedenste Möglichkeiten. Aber auch Abseits der Missionen gibt es lohnenswerte Aufgaben.
Technikpunkte erreicht ihr zum Beispiel durch das Lösen von Umgebungsrätseln. Mit diesen schaltet ihr neue Fähigkeiten, Gadgets oder Waffen frei. Auch Ingame-Währung, die ihr hauptsächlich für optische Verbesserungen benötigt, serviert euch das virtuelle London nicht auf dem Silbertablett. Es gibt optional also viel zu tun, nichts davon hätten wir jedoch benötigt, um in der Story voranzuschreiten.
Watch Dogs Legion verlangt der Current-Gen alles ab
Watch Dogs Legion holt alles aus der mittlerweile betagten Konsolen-Generation heraus. Die von uns getestete PS4-Pro-Version ist dabei laut Digital Foundry, die alle Umsetzungen vergleichen konnten, die überzeugendste Konsolen-Version. Frei von Fehlern ist sie jedoch nicht. Während der Online-Modus erst im Dezember an den Start geht, ist offline noch nicht alles perfekt. Bei der Rückkehr vom Spiel ins Hauptmenü kämpften wir mit mehreren Abstürzen. Die Fahrphysik weiß uns nicht zu überzeugen und ab und zu setzten wir unsere Charaktere zwischen verschiedenen Level-Elementen fest, ohne sie befreien zu können. Im Anschluss unserer Review veröffentlichte Ubisoft allerdings einen Patch, der kritisierte Punkte eventuell bereits korrigert hat.
Diesen Fehlern steht ein dichtes virtuelles London entgegen, das vor allem in den verregneten Abendstunden mit seinen Neon-Lichtern zu begeistern weiß. Missionsgebiete wie Hochhäuser oder Baustellen bieten nicht selten viele verschiedene Etagen, die entweder von unten erklommen oder von oben per Drohne angegangen werden. Ganz hohe Gebäude ragen sogar über die maximale Flughöhe von Drohnen hinaus. Hier eignen sich erneut Aufzüge von Fensterputzern oder Hebebühnen für das Vorankommen. Alternativ schickt ihr eigene Drohnen oder euren Spiderbot mit oder ohne Kampf-Ausrüstung auf die heikle Mission, während ihr aus sicherer Entfernung zuseht.
Über den Straßen nimmt der Londoner Detailgrad zwar ab, Drohnen bieten jedoch ganz neue Freiheiten / Quelle: Ubisoft
Unser Fazit zu Watch Dogs Legion
Watch Dogs Legion vermochte es, uns positiv zu überraschen. Die Hacking-Features sind mannigfaltiger und ausgereifter als in den Vorgängern und das Rekrutierungs-Feature bringt frischen Wind in die Serie und die Gaming-Landschaft.
Es erscheint uns falsch, Ubisoft das vorzuwerfen, was Sportarten, Brettspiele und Hobbies seit jeher ausmacht: Sie bauen auf eine feste Grundlage auf. Genau wie sich der Rennsport, Fußball und auch das Basteln nicht maßgeblich ändern, so hält Ubisoft an gewissen Grundlagen fest, was Missionsdesign und den Aufbau eigener Spielwelten angeht. Nur so ist es jedoch möglich, innovative Ideen und Weiterentwicklungen in Spiele zu integrieren, ohne dass das fragile Kartenhaus eines komplexen Open-World-Games zusammenfällt.
So kämpft Watch Dogs Legion zwar mit kleineren technischen Mängeln aber es ist gleichzeitig eine Freude zu sehen, wie viel Freiheit das Spiel seinen Nutzern gewährt. Das toll umgesetzte London lädt zum Sightseeing ein. Die unterschiedlichen Agenten motivieren zur Neuinterpretationen einzelner Missionsgebiete. Dass die Bürger Londons mit ihrem Slang etwas einseitig dargestellt werden können wir im Hinblick der künstlerischen Freiheit verschmerzen. Besonders positiv ist die Tatsache, dass Nebenaufgaben optional sind und den Fortschritt bei der Hauptstory nicht künstlich blockieren. All das macht Watch Dogs Legion für uns zu einem der besten Open-World-Abenteuern aus dem Hause Ubisoft.
Kurz vor dem Ende dieser Generation gab es noch einige richtig gute Titel für Sonys PlayStation 4. So spaltete The Last of Us Part 2 die Gemüter und Ghost of Tsushima bewies, dass kurze Ladezeiten nicht PS5-exklusiv sind.
Sobald auch wir uns unsere PS5 gesichert haben, werden wir dem Spiel einen neuen Besuch abstatten. Wir sind gespannt, wie groß der Generationen-Unterschied ausfällt.