Gypsy – Review zu Netflix erotischer Psychothriller-Serie
Mit GLOW sahen wir uns zuletzt eine Netflix-Serie an, die mit Leichtigkeit, Humor und frischer Thematik gänzlich zu überzeugen wusste. Nun tischt uns Netflix mit Gypsy einen Psychothriller auf, dessen Trailer uns auf eine ganz falsche Fährte gelockt hat. Wer nämlich beim Thema Psychothriller auf eine Serie mit packender Action und in den Adern gefrierendem Blut hofft, wartet bei Gypsy vergebens. Stattdessen überrascht die zehnteilige Serie mit ganz anderen Stärken und spricht damit Serien-Freunde mit Lebenserfahrung und Vorstellungsvermögen an. Diese erleben in Gypsy, wie die Fassade des Bilderbuchlebens von Psychologin Jean Holloway (nicht verwandt und verschwägert mit dem Watchdogs 2 Protagonisten Marcus Holloway) bröckelt und die Bedrohung ganz alltäglicher Probleme ins Zentrum der Erzählung rückt. Warum wir gerne einen Teil unseres Griechenland-Aufenthaltes mit der Serie verbrachten, erfahrt ihr in den kommenden Zeilen.
Mann, Tochter und ein angesehener Beruf – Alles super! Oder nicht?
Psychologin Jean Holloway (toll gespielt von Naomi Watts) lebt das Leben, das sich viele wünschen. Sie ist im perfekten Alter für Familie, Ehemann und Kinder. Folgerichtig hat sie als Psychologin mit ihrem Mann Michael, gespielt von Billy Crudup, einen Ehemann, der als Anwalt mitten im Leben steht und mit Dolly eine Tochter, die die Cleverness ihrer Eltern geerbt hat, das oft zitierte Traumleben. Ihr Serienleben könnte also nicht angenehmer sein. Wie nah die familiäre Perfektion und eine ausgewachsene Krise jedoch zusammenliegen können, zeigt Gypsy wie fast keine andere Serie. Nachdem die Serie uns nämlich sämtliche Protagonisten der Serie ausführlich vorstellt, damit wir später ihre Beweggründe verstehen und regelrecht mit ihnen leiden, zeigt uns die Psycho-Thriller-Serie auch die tickenden Zeitbomben im Leben der Psychologin. Nicht nur, dass ihr Mann eine hübsche Sekretärin hat, die scheinbar einer Liaison mit Michael nicht abgeneigt ist, hat auch ihre Tochter Dolly ihre eigenen Probleme.
Gypsy zeigt eine Psychologin mit guten Absichten auf Abwegen
Jean Holloway gibt alles für ihre Patienten. Dabei geht sie jedoch häufig zu weit. Spätestens, wenn man sich eine zweite Persönlichkeit zurecht gelegt hat, die bis ins letzte Detail ausgearbeitet ist, sollte man sich Gedanken machen. Wenn sie diese dann noch dazu nutzt, um Eltern oder Ex-Freunde der Patienten kennen zu lernen, wird das Chaos perfekt. In dem Moment, in dem sie sich von der Ex-Freundin eines Patienten angezogen fühlt, beginnt ein wahres Doppelleben, in dem sie nicht nur mehr über sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse lernt, sondern auch noch von einem Problem ins nächste stürzt. Gypsy wird zur Achterbahnfahrt aus Lust, Verantwortung, Sünde und Pflichterfüllung. Dabei konzentriert sich die Serie jedoch nicht nur auf Jeans Probleme. Die Tücken des Lebens machen auch vor Michael und Dolly nicht halt. Während der 10 Folgen haben wir uns häufig gefragt, wie die Geschichte um Jean und co wohl endet. Wir wurden nicht enttäuscht.
Gypsy ist nichts für Moralapostel und Ehe-Romantiker
Ohne zu viel von der Geschichte zu verraten, können wir sagen, dass Michael und Jean Opfer von Verführung werden und selbst verführen. Während es Jean die Sprache verschlägt, wenn sie auf die Patienten-Ex Sidney trifft, lauert Michaels Verführung in der Anwaltskanzlei. Dabei hebt Gypsy allerdings zu keiner Zeit den moralischen Zeigefinger. Man lernt so den Unterschied zwischen emotionalen und körperlichen Affären kennen. Während der ganzen Zeit sind die Aktionen der Protagonisten meist nachvollziehbar und keinesfalls unrealistisch. Im prickelnden Zentrum der Serie liegt aber ohne Frage die Beziehung zwischen Jean und der jüngeren Sidney. Sidney selbst ist tagsüber Barista und singt nachts für die Band Vagabond Hotel. Die Beziehung wird bis ins Detail überzeugend ausgearbeitet. Dabei zeigt auch Sidney Darstellerin Sophie Cookson ihr schauspielerisches Repertoire. Immer wieder ist die prickelnde Atmosphäre zwischen Jean und Sidney beinahe greifbar. Sogar erotische Tagträume und andere Phantasien werden glaubwürdig in die Serie integriert. Nicht umsonst gibt Netflix als Altersempfehlung eine 16+ an.
Psychologie fernab von Sex und Gefühlen
Gypsy konfrontiert uns jedoch nicht nur mit den niederen Instinkten der Charaktere. Auch andere Verhaltensmuster, Gedankengänge und Hintergründe werden angerissen. So machen wir uns zum Beispiel auch Gedanken um die sexuelle Identität von Jeans Tochter Dolly. Auch die Eltern-Kind-Beziehung rückt immer wieder in den erzählerischen Mittelpunkt. Drogensucht, emotionale Abhängigkeit und religiöse Gruppierungen sind zudem ebenfalls Themen, vor denen Gypsy innerhalb der ersten 10 Folgen nicht zurückschreckt. All diese Nebenschauplätze bilden jedoch ein komplettes Gesamtbild der Welt, in der sich Jean, Sidney und Michael bewegen, der Welt in der auch wir uns bewegen. Gypsy ist also eine der Serien, die Aufmerksamkeit vom Zuschauer verlangen. Wer also etwas Leichtes und Lustiges für zwischendurch sucht, lässt sich besser nicht von der Netflix-Serie in ihren Bann ziehen. Emotional reifes Publikum wird sich jedoch umso mehr angesprochen fühlen.
Auch handwerklich ist Gypsy eine Serie der Güteklasse A
Intensive Bilder, tolle akustische Untermalung und unglaublich gute Schauspieler – Gypsy hat wirklich alles, was man sich als Serien-Fan wünschen kann. Gerade die deutliche Erzählweise, die kaum Raum für Interpretation lässt, lenkt das Publikum gezielt in die vorgesehene Richtung. Szenen in Bars, spärlich beleuchteten Räumen oder sogar in Alltags-Situationen verdeutlichen immer wieder die Diskrepanz zwischen alltäglicher Normalität und dem Prickeln des Verbotenen. Leider erleidet man dabei jedoch immer direkt den Schmerz des Betrogenen und bekommt seine Gefühle vermittelt. So schaffen es alle Darsteller, Themen wie Affären und Beziehungen außerhalb der Ehe weder zu verteufeln noch zu verherrlichen. Zentrale Botschaft ist, dass Affären und andere Beziehungen durchaus real sind und dass beide beteiligten einer Ehe dafür sorgen müssen, dass diese langfristig erfolgreich voller Liebe und Verliebtheit funktioniert. Die harte Wahrheit, was passiert, wenn man nicht an der gemeinsamen Beziehung arbeitet, wird vor allem Ehe-Romantiker davor bewahren Gypsy die Aufmerksamkeit zu geben, die die Serie verdient.
Unser Fazit zu Gypsy
Gypsy ist eine Serie, die sich deutlich von den üblichen Serien abhebt. Gypsy hat weder die Leichtigkeit von GLOW noch Fantas-y und Action-Gehalt der vielen Superhelden-Serien. Stattdessen bietet Gypsy einen tiefen Einblick in die menschliche Seele mit ihren Abgründen. Gerade der starke Fokus auf die Psyche des Menschen und verbundene Emotionen wird viele davon abhalten Gypsy eine Chance zu geben. Wir (unsere Social Media Managerin/meine Frau und ich) haben jedoch sogar einige Stunden unseres Griechenland-Urlaubs mit Gypsy verbracht und waren einmal mehr von einer Netflix-Serie positiv überrascht. Damit hat sich Gypsy unsere Bewertung (8/10) mehr als verdient.
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